Heute geht es um das dritte und somit letzte normierte Verfahren zur Bewertung von Immobilien nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmowertV) – das Sachwertverfahren.
Über das Vergleichswertverfahren und das Ertragswertverfahren schrieb ich ja bereits in meinen vorherigen Artikeln. Das Sachwertverfahren ist das komplexeste aller Verfahren der ImmoWertV.
Es wird in der Regel zur Bewertung von selbstgenutzten Wohnimmobilien, wie z.B. Ein- und Zweifamilienhäusern, Doppelhäusern und Reihenhäusern angewendet.
Wie wird der Sachwert einer Immobilie ermittelt
Beim Sachwertverfahren werden zunächst der Wert des Bodens, die Herstellungskosten der Immobilie und Außenanlagen, sowie die Herstellungskosten weiterer baulicher und sonstiger Anlagen, wie z.B. Garagen addiert, um einen vorläufigen Sachwert zu erhalten. Alles unter Berücksichtigung der jeweiligen Alterswertminderung, wobei Modernisierungen das tatsächliche Alter einer Immobilie wieder „verjüngen“.
Anschließend wird die Berechnung an den heutigen Markt und die Lage des Hauses mittels Sachwertfaktor angepasst.
Man schaut salopp gesagt: was würde mein Haus kosten, wenn ich es heute bauen würde.
Kosmetik „verjüngt“
Eine Wohn-Immobilie darf in der Regel 80 Mal Geburtstag feiern (einheitlich alle Wohnimmobilien, mit der Novellierung der ImmoWertV, die voraussichtlich Anfang 2022 in Kraft treten wird). Fachlich gesprochen beträgt die Gesamtnutzungsdauer einer Wohn-Immobilie 80 Jahre. Die lineare Wertminderung beläuft sich hier auf 1,25 % jährlich. Immobilien haben den Vorteil, dass Sie sich ebenfalls, wie wir Menschen auch, der „Kosmetik“ unterziehen lassen können. Der Unterschied zu uns Menschen: Sie bekommt die „modellierten Jahre“ angerechnet – sprich sie wird auch von Ihren Jahren her „jünger“.
Die Sachwertermittlung anhand der NHK 2010
Folgende Punkte sind zur Ermittlung des Verkehrswertes im Sachwertverfahren bei der Begehung der Immobilie aufzunehmen:
- Um welche Art und ggf. Anbauart und Bauweise des Hauses handelt es sich?
- Wie groß ist das Objekt bzw. die Bruttogrundfläche des Objekts?
- Gibt es einen Keller? Ist es teil-oder vollunterkellert?
- Wieviel Vollgeschosse hat das Haus?
- Gibt es ein Dachgeschoss, und wenn ja, in welcher Form? Inwieweit ist es ausgebaut?
Die Anwendung der Sachwertrichtlinie nach der ImmoWertV im Beispiel eines Einfamilienhauses
Anschließend wird geschaut, in welchem Zustand sich das Haus mit der jeweiligen Ausstattung befindet. Hierfür werden folgende einzelnen Teile des Hauses in Augenschein genommen:
- Dach (15%)
- Außenwände (23%)
- Innenwände- und Türen (11%)
- Fenster und Außentüren (11%)
- Deckenkonstruktion und Treppen (11%)
- Fußböden (5%)
- Sanitäreinrichtungen (9%)
- Heizung (9%)
- Sonstige technische Ausstattung (6%)
In der Anlage 2 der Sachwertrichtlinie gibt es eine ganze Reihe von Tabellen für verschiedene Wohn- und Nichtwohngebäude, die Hinweise bzgl. der Gebäudestandards in der jeweiligen Standardstufe geben.
Tabelle 1 beschreibt die Standardstufen für freistehende Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser, Reihenhäuser und Doppelhäuser.
ACHTUNG: Diese Tabellen dienen lediglich zur Orientierung! Sie können unmöglich alle in der Praxis auftretenden Standardmerkmale aufführen. Nicht in der Tabelle beschriebene Merkmale sind zusätzlich sachverständig zu berücksichtigen.
Um eine kurze Vorstellung zu geben, wie diese Tabelle aussieht, hier ein Beispiel:
Entsprechend dieser Liste werden die Punkte für die einzelnen o.g.Teile der Immobilie vergeben. Es können zwischen den einzelnen Standards gewichtete Punkte in 0,1er-Schritten vergeben werden, sollte Ihre Immobilie nicht exakt einer Standardstufe einzuordnen sein. Diese werden am Ende addiert, um so einen Standard für die weitere Berechnung festzulegen.
Gebäudeart und Standard sind ermittelt - und jetzt?
Wenn man beides hat, schaut man in der Anlage 1 der Sachwertrichtilie - Normalherstellungskosten 2010 ( = NHK 2010) in der entsprechenden Tabelle nach (auch hier gibt es viele verschiedene Tabellen, je nach Gebäudeart), welchen Kostenkennwert ich unter der zuvor ermittelten Standardstufe für die entsprechende Immobilie pro m² Bruttogrundfläche vorfinde und ziehe diesen für die weitere Berechnung heran.
Kostenkennwert bedeutet hier: Wie hoch waren für meine Immobilie die Herstellungskosten/ m² inkl. MwSt und 17 % Baunebenkosten im Jahre 2010 (NHK 2010).
Ausschnittt aus der Anlage 1 der Sachwertrichtlinie
Was passiert, wenn meine Immobilie im Vergleich zur vollunterkellerten Richtwertimmobilie keinen Keller hat?
Keine Angst, auch daran wurde natürlich für die Berechnung gedacht. Der Wert wird mittels Umrechnungskoeffizienten für Anbauart, Bauweise und Objektgröße modifiziert, um hier am Ende einen realistischen Preis zu ermitteln.
Wertanpassung an den Bewertungsstichtag
Da die Baupreise seit 2010 enorm gestiegen sind, wird im nächsten Schritt der Wert der modifizierten Herstellungskosten mit dem entsprechendem Baupreisindex multipliziert, um ihn an den Wertermittlungsstichtag anzupassen:
Ergebnis (€/m² BGF ) x m² oder BGF = Herstellungskosten für meine Immobilie.
Kurzer Exkurs zum Baupreisindex:
Der Baupreisindex wird vierteljährlich anhand vorliegender Daten vom statistischen Bundesamt ermittelt und beschreibt die preisliche Entwicklung von Neubauten, bzw. Instandhaltung bei Bestandsimmobilien und stellt eine preisliche Relation der Baukosten zwischen dem Basisjahr (derzeit 2015; wird i.d.R.alle 5 Jahre vom statistischen Bundesamt angepasst) und dem tatsächlichen Baujahr dar.
Die Indizes werden für die Wertermittlung benötigt, um die Normalherstellungskosten (derzeit NHK2010) an die Preisverhältnisse am Wertermittlungsstichtag anzupassen.
Gesamtnutzungsdauer versus Restnutzungsdauer
Nun wird die Restnutzungdauer ermittelt, ausgehend von eimner Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren: Wertminderung in % = Gebäudealter/ Gesamtnutzungsdauer x 100
Anschließend wird der Gebäudewert der Immobilie ermittelt.
Marktanpassung
Im darauffolgenden Schritt erfolgt die Marktanpassung mithilfe des Sachwertfaktors.
Die Höhe des Sachwertfaktors richtet sich nach Objektgröße- und art, Lage und Baujahr. Auch Alter und Zustand sind entscheidend.
Die einen befinden sich mitten in der Stadt, andere im Speckgürtel, andere wiederum fernab der Stadt auf dem Land. Entsprechend werden hier sachgemäße Ab- bzw. Zuschläge berücksichtigt. Der ermittelte vorläufige Sachwert ist gemäß den Vorschriften der ImmoWertV an die aktuelle Marktlage anzupassen. Um einen realistischen Marktwert zu erhalten, wird der vorläufig ermittelte Sachwert mit dem Sachwertfaktor dafür multipliziert.
Die Sachwertfaktoren werden in der Regel vom Gutachterausschuss ermittelt und können dort erfragt werden, bzw. dem Immobilienmarktbericht entnommen werden.
Besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale
Bitte am Ende nicht vergessen, die objektspezifischen Grundstücksmerkmale als Zu- oder Abschlag zu berechnen, um am Ende den marktangepassten Sachwert zu erhalten. Die objektspezifischen Grunstücksmerkmale beschreibe ich in meinem Blog zum Vergleichswertverfahren.
Kurz zusammengefasst sieht die vereinfachte Formel der Berechnung wie folgt aus:
- Herstellungskosten Gebäudewert
x BPI
– Alterswertminderung
= Gebäudesachwert - Außenanlagen
+ Bodenwert
= vorläufiger Sachwert
x Sachwertfaktor
= marktangepasster vorläufiger Sachwert
+/ - objektspezifische Merkmale
= Sachwert der Immobilie
Allgemein zum Sachwertverfahren
Grundsätzlich bestimmen immer noch Angebot und Nachfrage den Markt. Und gleichzeitig ist das Sachwertverfahren eine gute Möglichkeit, um den Wert einer Immobilie objektiv zu bestimmen.
Fazit
Wie Sie erkennen, ist das Sachwertverfahren unheimlich komplex. Daher ist hier ein Spezialist für die Immobilienbewertung unbedingt anzuraten. Bei Fragen, wenden Sie sich gerne an uns.
Rechtliche Hinweise
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir als Immobilienmakler keine rechtliche und steuerliche Beratung durchführen dürfen. Entsprechend übernehmen wir für den Inhalt keine Haftung. Dieser Artikel wurde nach bestem Wissen und Gewissen am 18.06.2021 verfasst. Bei weiteren Fragen konsultieren Sie bitte einen Fachanwalt.